Sportplatzlegenden: Die Buß-Elf aus Tannenwirtshaus - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 13.01.2007 um 15:00 Uhr
Sportplatzlegenden: Die Buß-Elf aus Tannenwirtshaus
MAGAZIN Es gibt Mannschaften, an die erinnert man sich oft noch nach Jahren und Jahrzehnten. Die sogenannte „Buß-Elf“ ist sicherlich eine solche Mannschaft, die im Bewusstsein zahlreicher, vornehmlich älterer Fußballfans in ganz Oberfranken noch vorhanden ist. Die Buß-Elf – das war die Mannschaft des FC Tannenwirtshaus, der zwischen 1954 und 1964 insgesamt zehn Jahre in der Kreisliga Oberfranken Ost, der damals zweithöchsten Amateurliga, vertreten war.
Von Robert Schäfer
Tannenwirtshaus – der Name klingt eigentlich ganz und gar nicht nach großem Fußball. Und doch sorgte der Fußballverein des kleinen Ortes bei Marktleugast in den fünfziger und sechziger Jahren für Furore. Schwer sei es gewesen, das Dorf überhaupt zu finden, schrieb ein zeitgenössischer Berichterstatter, der sich eigens aus Nordrhein-Westfalen auf den Weg machte, um über die ungewöhnliche Erfolgsmannschaft zu berichten. Gerade einmal 210 Einwohner, zwei Wirtshäuser und eine Poststation zählte der kleine Ort im damaligen Landkreis Stadtsteinach – Metropolen sehen sicher anders aus. Am Ende der Welt müsse Tannenwirtshaus wohl liegen, mutmaßte folglich auch der Reporter, seine Fußballer aber müssten aber dennoch wohl tolle Burschen sein. Dabei aber fing der Fußball auch in Tannenwirtshaus einmal ganz bescheiden an.  

Anfänge in den zwanziger Jahren

Zu Beginn der zwanziger Jahre kam der Fußballsport nach Tannenwirtshaus. Die Männer und Jungen des Ortes jagten auf Feldern und Wiesen dem runden Leder nach, zunächst freilich ohne sich im Verein zu organisieren. Das änderte sich im Jahre 1923, als die Fußballpioniere den 1. FC Sportring Tannenwirtshaus aus der Taufe hoben. Schon 1925 konnten die Mitglieder des jungen Vereins ein Gelände aus dem Besitz des Barons Freiherr von und zu Guttenberg pachten und dort eine Turnhalle mit Vereinsheim errichten sowie einen Fußballplatz anlegen. 1926 waren die Arbeiten abgeschlossen, die Kosten beliefen sich auf stattliche 24.000 Reichsmark. Auf den späteren Erfolg der Tannenwirtshauser Fußballer deutete in jener Zeit freilich noch nichts hin, im Gegenteil: Mehr schlecht als recht schlugen sich die Kicker aus dem Frankenwald in der untersten Spielklasse, während des Zweiten Weltkrieges ruhte der Spielbetrieb gar völlig, zudem wäre auch fast auch das Sportgelände verloren gegangen, da an seiner Stelle der Bau von Siedlungshäusern geplant wurde.  

Die Meistermannschaft des FC Sportring Tannenwirtshaus, die 1954 den Aufstieg in die Kreisliga Oberfranken Ost bewerkstelligte. Hintere Reihe von links nach rechts: Emil Kraus, Christoph Schramm, Robert Buß I, Herbert Buß, Reinhold Heller. Mittlere Reihe von links nach rechts: Helmut Buß, Siegfried Buß, Robert Buß II. Vordere Reihe von links nach rechts: Karl Buß, Erich Buß und "Vater" Heinrich Buß I. Von der Meisterelf leben heute nur noch drei Spieler: Erich, Herbert und Karl Buß.
1. FC Sportring Tannenwirtshaus

1954: Aufstieg in die Kreisliga Oberfranken Ost

Nach Kriegsende aber gab Tannenwirtshaus Gas. 1947 kehrte die Mannschaft in den Spielbetrieb zurück, 1948 schon stieg sie in die A-Klasse auf. Von Anfang an spielte der FC Sportring hier eine herausragende Rolle, und parallel zum wachsenden Erfolg wurde auch das Sportgelände weiter ausgebaut. 1954 ging der Sportplatz in den Besitz des Vereins über, bereits im Jahr zuvor hatten seine Mitglieder für fast 10.000 DM eine stattliche Tribüne errichtet – es begann die große Zeit des FC Tannenwirtshaus. 1954 wurde Tannenwirtshaus Meister in der A-Klasse Bayreuth/Kulmbach, damit war die Mannschaft berechtigt, an den Ausscheidungsspielen um den Aufstieg in die Kreisliga Oberfranken Ost teilzunehmen – die spätere Bezirksliga und damals zweithöchste Spielklasse im Amateurbereich. In Helmbrechts gewann der FC Tannenwirtshaus vor 2.500 mitgereisten Zuschauern mit 2:1 gegen die Amateure des FC Bayern Hof  und schaffte so den kaum für möglich gehaltenen Aufstieg. Doch was war das eigentlich für eine Mannschaft, die dem kleinen Dorf gleichsam über Nacht so viel Aufmerksamkeit verschaffte?  

Kein Trainer, kein Training, keine Ersatzspieler

Es war in der Tat eine mehr als kuriose Elf, die Sonntag für Sonntag die Gegner das fürchten lehrte – in der Kreisliga ebenso wie zuvor in der A-Klasse. Der eingangs schon zitierte Berichterstatter gab erstaunt zu Protokoll: „Der FC Tannenwirtshaus ist eine originelle Mannschaft. Es gibt keinen Trainer, keine Jugend und keine Reserve. Ein Trainer ist schon deshalb überflüssig, weil die Mannschaft überhaupt nicht trainiert. Die wackere Elf kennt den Fußballsport nur am Sonntag. Unter der Woche sind die Männer als Händler in Oberfranken unterwegs. Die Mannschaft verfügt über keinen einzigen Reservemann“. Kein Trainer, keine Ersatzspieler (zumindest in den ersten Jahren in der Kreisliga), allein das war schon ungewöhnlich genug. Am erstaunlichsten aber war der Umstand, dem die Mannschaft letztlich ihren Beinamen verdankte: Acht von elf Spielern aus der Meistermannschaft des Jahres 1954 trugen den Familiennamen Buß. „Die stammten aus insgesamt vier Familien, die aber natürlich alle miteinander verwandt waren“, erinnert sich Herbert Buß, damals Stürmer beim FC Tannenwirtshaus. „Die übrigen drei waren allerdings auch Cousins bzw. Verwandtschaft zu den Bußens“, ergänzt Erwin Burger, heute 1. Vorsitzender des Vereins. Der Erfolg des Fußballclubs aus Tannenwirtshaus, er war demnach eine reine Familienangelegenheit. Und einen Trainer, so bestätigt Herbert Buß den Bericht des verdutzten Zeitzeugen, habe man tatsächlich nicht gehabt. „Trainiert haben wir oft nur mit einem Tennisball, den wir im Dorf gegen die Wand einer Scheune schossen. Einen Trainer im heutigen Sinn gab es aber nicht“.  

Aus elf mach zwölf: Die Mannschaft des FC Tannenwirtshaus im Jahre 1958. Hintere Reihe von links nach rechts: Heinrich Buß I, Reinhold Heller, Henry Buß, Robert Buß I, Herbert Schramm, Herbert Buß. Mittlere Reihe von links nach rechts: Siegfried Buß, Helmut Buß, Engelbert Schramm. Vordere Reihe von links nach rechts: Robert Buß II, Erich Buß, Jakob Wirth.
1. FC Sportring Tannenwirtshaus

Zehn Jahre in der zweithöchsten Amateurliga


Den Erfolg konnte aber der fehlende Trainer auch nicht verhindern. Angeführt vom damals schon über vierzigjährigen Kapitän der Mannschaft, Heinrich Buß I – von allen nur liebevoll „Vater“ genannt – etablierte sich Tannenwirtshaus rasch in der Kreisliga und blieb dort am Ende für immerhin zehn Jahre. Ein Underdog war der Verein, die Großen habe man, so Erwin Burger, mehr als einmal in jenen zehn Jahren geärgert. Kein Wunder, dass der Verein weithin für Aufsehen sorgte. Bei den Gegnern ohnehin, wo die Buß-Elf regelmäßig zu hören bekam: „Die Bauern kommen“! Aber auch über die Grenzen der Region hinaus. Der zitierte Reporter aus Nordrhein-Westfalen war nicht der einzige Journalist, der sich seinerzeit nach Tannenwirtshaus durchschlug. Auch die Zeitschrift „Bild und Funk“ berichtete 1957 über die Buß-Elf – und versah ihre Reportage mit mehr Fotos als den nebenstehenden Bericht über Ägyptens Ex-König Faruk!  

Erfolge gegen namhafte Gegner

Die Gegner des FC Sportring – das waren in den Jahren der Kreisligazugehörigkeit weithin bekannte Mannschaften wie der SV Mitterteich, der VfB Rehau, der FC Wacker Marktredwitz, der FC Münchberg, der VfB Arzberg oder die Zweite Mannschaft des FC Bayern Hof. Vor allem im ersten Jahr in der Kreisliga bekam die Konkurrenz die Spielstärke des Familienbetriebes zu spüren. „Nach der Vorrunde standen wir damals auf dem zweiten Platz. Am Ende schafften wir einen guten Mittelfeldplatz, das war dann auch in den Folgejahren meist der Fall. Erst in den letzten Jahren in der Bezirksliga rutschten wir allmählich ab, da wir Spieler natürlich immer älter wurden und keine Jüngeren mehr nachkamen“, so Herbert Buß. 1964 trat schließlich das Unvermeidliche ein: Tannenwirtshaus verabschiedete sich vom höherklassigen Amateurfußball und stieg wieder ab in die A-Klasse.  

Rückzug der Mannschaft im Jahre 1987

Von da an ging es langsam, aber stetig bergab mit dem Fußball in Tannenwirtshaus. Dem Verein mangelte es zunehmend am eigenen Nachwuchs, den alten Haudegen der goldenen Jahre blieb daher oft nichts anderes übrig, als selbst noch bis ins fortgeschrittene Alter die Fußballstiefel zu schnüren. „Ich war 35, als wir abstiegen. Gespielt habe ich dann aber noch, bis ich 48 war – zuletzt allerdings nicht mehr als Stürmer, sondern als Libero“, erinnert sich Herbert Buß. Schritt für Schritt stieg der FC Sportring bis in die C-Klasse ab, 1972 gar musste die Vereinsführung die Mannschaft wegen Spielermangels erstmals vom Spielbetrieb abmelden. 1973 kehrte der FC Tannenwirtshaus zwar noch einmal auf die Fußballbühne zurück, stieg sogar prompt noch einmal in die B-Klasse auf, doch war dies bis heute der letzte sportliche Erfolg, den man in Tannenwirtshaus feiern durfte. Schon 1975 stieg die Mannschaft wieder in die C-Klasse ab, wo man anschließend noch für zwölf Jahre an den Start ging. 1987 aber war dann endgültig Schluss. Aufgrund des immer akuter werdenden Spielermangels zog der FC Tannenwirtshaus nach Ende der Spielzeit 1986/87 seine Mannschaft erneut vom Spielbetrieb zurück, diesmal leider ohne Wiederkehr.

Der Platz ist da, nur die Mannschaft fehlt. Knapp zwanzig Jahre nach dem Rückzug des FC Tannenwirtshaus wird der Rasen, auf dem die Buß-Elf einst ihre Siege feierte, noch immer liebevoll gepflegt. Heute nutzt vor allem die "Kindergruppe Tannenwirtshaus" den Sportplatz, Mitglieder des Vereins haben das Gelände und das benachbarte Sportheim vor einigen Jahren wieder instand gesetzt.
Robert Schäfer

Vereinzelte Versuche, der Fußballabteilung wieder Leben einzuhauchen, blieben ohne Erfolg, und so lebt der Fußball in Tannenwirtshaus nur noch in der Erinnerung einiger Zeitzeugen weiter – und in Form des Sportplatzes, der bis heute existiert und noch immer bzw. wieder instand gehalten wird. „Wir haben zwar seit 1987 keine Mannschaft mehr, da uns der Nachwuchs fehlt, das Sportgelände aber ist immer noch bespielbar“, sagt Erwin Burger nicht ohne Stolz. „Auch das Vereinsheim ist noch intakt. Dort pflegen wir auch bis heute die Geselligkeit, die mittlerweile das Wichtigste in unserem Verein ist“. Vor allem die Kinder- und Jugendarbeit belebt das Vereinsgelände mit Zeltlagern, Kinderfesten, Johannisfeuern und nicht zuletzt dem Kinderspielplatz, der vor einigen Jahren im Schatten des Fußballplatzes angelegt wurde. So wird zwar der große Fußball ganz sicher nie mehr nach Tannenwirtshaus zurückkehren, die Erinnerung an jene goldenen Jahre wird jedoch nach wie vor gepflegt.  

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