Weismains Jahrhundertspiel: 15.000 wollten den Club sehen - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 19.04.2008 um 06:00 Uhr
Weismains Jahrhundertspiel: 15.000 wollten den Club sehen
MAGAZIN Wir schreiben den 12. April 1997. In Weismain, dem beschaulichen Jurastädtchen mit seinen 4.700 Einwohnern, herrscht Volksfeststimmung. Mehr als 15.000 Menschen haben sich aufgemacht, um das Spiel des heimischen SC gegen den 1. FC Nürnberg zu erleben. Doch nicht zu einem gemütlichen Freundschaftskick ist der Club in die Provinz gereist – in der Saison 1996/97 begegnen sich der Kleinstadtklub und der ehemalige Rekordmeister (fast) auf Augenhöhe in der Regionalliga Süd. Für Weismain das Spiel des Jahrhunderts!
Von Robert Schäfer
Es herrscht eine seltsame Aufbruchstimmung im deutschen Vereinsfußball Mitte der neunziger Jahre. Seit der DFB 1994 die Regionalliga als neue dritte Spielklasse eingeführt hat, tummeln sich in den insgesamt vier Staffeln der offiziell höchsten Amateurliga sowohl zahlreiche Traditionsvereine als auch eine Reihe völlig neuer Gesichter, die zuvor im deutschen Fußball kaum eine Rolle gespielt hatten. Da treffen etwa in der Regionalliga Süd gestandene Profivereine, wie beispielsweise die Offenbacher Kickers, Darmstadt 98 oder Hessen Kassel, auf absolute „No-Names“, wie etwa den SC Neukirchen/Knüll, die TSF Ditzingen oder eben den SC Weismain.  


Volles Haus: bis auf den letzten Platz gefüllt war das Waldstadion beim Jahrhundertspiel gegen den 1. FC Nürnberg. 15.000 Zuschauer oder mehr sorgten für eine stimmungsvolle Kulisse.

SCW Obermain

Weismain im Aufwind, Nürnberg am Tiefpunkt


Den Jurastädtern gelang in der Saison 1995/96 sensationell der Durchmarsch von der Landesliga in die Regionalliga. In nur einem Jahr hat der zuvor nie sonderlich in Erscheinung getretene Verein die Bayernliga durchlaufen und den Aufstieg in die dritte Liga geschafft. Dort erwartet den Neuling gleich in seiner ersten Saison ein echter Leckerbissen. Denn während sich der SCW, finanziell großzügig unterstützt von seinem Präsidenten Alois Dechant, in kurzer Zeit nach oben gearbeitet hat, erlebt zur gleichen Zeit der ruhmreiche 1. FC Nürnberg den absoluten Tiefpunkt seiner Geschichte. Soeben erst ist der Club aus der 2. Bundesliga abgestiegen und findet sich nun unversehens in der Regionalliga wieder. Noch zu Beginn der neunziger Jahre schien sich Nürnberg dauerhaft in der Bundesliga etablieren zu können, jetzt, keine fünf Jahre später, darf man sich nicht mehr auf Derbys mit Bayern München, sondern mit der SG Quelle Fürth „freuen“.  

Heimspiel in der Fremde

Des einen Leid, des anderen Freud. Denn während der Club – getreu dem Motto „Augen zu und durch“ – den sofortigen Wiederaufstieg ins Auge fasst und zu diesem Zweck die Tingeltour durch die Fußballprovinz auf sich nehmen muss, reiben sich die Kassiere der übrigen Regionalligisten die Hände. Wenn der Club kommt, bedeutet das so gut wie immer volles Haus. Das gilt natürlich besonders beim innerfränkischen Duell in Weismain, wo Mäzen Dechant nach dem Aufstieg das vereinseigene Waldstadion eigens auf ein Fassungsvermögen von rund 15.000 Zuschauern hat ausbauen lassen. Wie viele Menschen sich tatsächlich an jenem Apriltag des Jahres 1997 ins Weismainer Stadion zwängen, weiß niemand so genau. Offizielle Quellen sprechen von 15.000 Zuschauern, wahrscheinlich aber sind es sogar noch mehr. Proppenvoll ist die Arena am Spieltag, und weit mehr als die Hälfte der Schlachtenbummler – geschätzte 10.000 – gehört dem Lager der Nürnberger an, die sich somit – nicht zum einzigen Mal in dieser Saison – auf ein Heimspiel in der Fremde freuen dürfen. Bereits vor 12 Uhr am Mittag treffen die ersten Fans im Stadion ein und füllen nach und nach die Stehränge der imposanten Naturtribüne.  


Schon vor Spielbeginn sorgten die Schalchtenbummler - überwiegend Anhänger des FCN - für Erstligastimmung.

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Ungefährdeter Erfolg des Club


Die äußeren Voraussetzungen für ein stimmungsvolles Derby sind also gegeben. Sportlich indes scheint der Ausgang der Partie bereits im Vorfeld klar. Der Club liegt klar auf Aufstiegskurs, während Neuling Weismain seit Wochen schon etwas schwächelt. Und so erleben denn auch die Zuschauer ein über weite Strecken einseitiges Spiel. Lediglich in der ersten Viertelstunde hält der SC Weismain noch mit, danach aber nimmt zunehmend der von Willi Entenmann trainierte Club das Heft in die Hand. Bis zur 22. Minute vermag die vom Ex-Nürnberger Reiner Wirsching organisierte Abwehr der Gastgeber dem Druck der Nürnberger standzuhalten, dann aber geschieht das Unvermeidliche. Carsten Keuler, der an diesem Tag überragende Defensivstratege in den Reihen des neunfachen Deutschen Meisters, überwindet Torwart Marius Todericiu zum ersten Mal. Unmittelbar nach dem Seitenwechsel erhöht Jürgen Falter auf 2:0 für die Gäste, zugleich auch der Endstand. Tapfer und mit Erfolg wehren sich die Schützlinge von Trainer Paul Hupp gegen eine höhere Niederlage, sein Kollege Willi Entemann wird nach dem Spiel anerkennend bemerken, dass Weismain dem Club viel abverlangt habe. Freundliche Worte findet auch Nürnbergs Präsident Michael A. Roth, der den Weismainern nicht nur den Klassenerhalt prophezeit, sondern sogar daran glaubt, dass der Verein „schon in wenigen Jahren nach oben schielen können“ wird.    

Die Wege trennten sich bald

Letzteres war, wie sich zeigen sollte, ein Irrtum. Denn das Gastspiel des 1. FC Nürnberg sollte für Weismain in der Tat ein einmaliges Ereignis bleiben. Nach nur einem gemeinsamen Jahr in der Regionalliga trennten sich die Wege der ungleichen Vereine wieder. Nürnberg stieg, wie erwartet, postwendend wieder in die 2. Bundesliga auf, während Weismain seine Premierensaison in der Regionalliga auf einem respektablen zehnten Rang abschloss. Zwei weitere Jahre sollten noch in der Regionalliga folgen, dann freilich ging es mit den Jurastädtern steil bergab. 1999 stieg Weismain wieder in die Bayernliga ab, wurde binnen weniger Jahre bis in die Bezirksoberliga durchgereicht und musste schließlich im Jahr 2004 Insolvenz anmelden. Als SCW Obermain wagte der Verein einen völligen Neuanfang in der A-Klasse, während gleichzeitig der Club zu seinem größten Höhenflug seit Jahrzehnten ansetzte, der bekanntlich 2007 im Gewinn des DFB-Pokals gipfeln sollte. Der FCN und der SCW – nur elf Jahre nach dem Jahrhundertspiel sind sie Lichtjahre voneinander entfernt.    



Christian Hassa, heute in Diensten des FC Eintracht Bamberg, köpft aufs Weismainer Tor, verfehlt jedoch sein Ziel.

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SC Weismain:
Todericiu, Renk (54. Penner), Kramer, Dippold, Wirsching, Siegl (75. Opel), Berger, Licht, Klaus, Gröger, Skoric  

1. FC Nürnberg: Müller, Hassa, Keuler, Halat, Knäbel, Baumann, Wiesinger, Störzenhofecker, Kurth (88. Cheriffe), Oechler, Falter (67. Bürger)  

Tore: 0:1 Keuler (22.), 0:2 Falter (49.)  

Schiedsrichter: Kurt Ert (Günzburg)  

Zuschauer: 15.000 (ausverkauft)    

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