„Ich wurde integriert“: Uzun, ein Deutscher unter Türken - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 03.06.2009 um 00:00 Uhr
„Ich wurde integriert“: Uzun, ein Deutscher unter Türken
Der A.R.P. Gaustadt bereicherte über viele Jahre Fußball-Bamberg. Der TSC Bamberg tut es immer noch. In vielen Vereinen kicken Russen neben Italienern, Portugiesen feiern mit Griechen und Türken spielen Doppelpass mit Deutschen. „Mein Freund ist Ausländer“ ist keine hohle Phrase, sondern auf den Sportplätzen des Spielkreises längst wundervolle Realität.
Von Bernd Riemke
Winter 2000. Gemeinsam mit meinem Bruder stehe ich auf der Festwiese vor dem altehrwürdigen Volksparkstadion. Das, was sich 'Fußballplatz' schimpft ist tatsächlich eher eine Wiese, auf dem der Türkische Sportclub Bamberg seine Heimspiele in der A-Klasse 1 austrägt. Lange Jahre dümpelten die Kicker vom Bosporus in den tiefsten Niederungen der untersten Spielklasse herum, doch in der Saison 2000/2001 klopft man plötzlich an die Tür zur Kreisklasse. Trainer Taner Dursun versammelte damals beinahe alle guten und ambitionierten Kicker türkischer Abstammung im eigenen Verein mit dem Ziel, das „graue-Maus-Image“ endgültig ablegen zu können. Ein Torwart und sicherer Rückhalt wurde in der Winterpause noch gesucht und mein Bruder – seines Zeichens Keeper bei der DJK/SV Geisfeld - wurde auf Nachfrage der Vereinsverantwortlichen von der Neugier gepackt. Wir sind eingeladen, uns einen Eindruck von der Mannschaft zu verschaffen und werden auf das Herzlichste willkommen geheißen. Allen umstehenden scheint klar, dass sich hier etwas „Großes“ anbahnen könnte. Allen – außer mir. Dass wir nur wenige Wochen später im Vorbereitungsspiel auf die zweite Halbserie beim RSC Oberhaid gemeinsam zum ersten Mal das Trikot mit dem Halbmond auf der Brust tragen, ist selbst für die akribischsten Statistiker nicht mehr als eine Randnotiz. Für den TSC Bamberg – so scheint es mir – ist es die Aufbruchstimmung in Person zweier engagierter deutscher Freizeitkicker. Gut zwanzig Jahre nach der Vereinsgründung sind wir tatsächlich die ersten beiden „Ausländer“, die für den TSC dem runden Leder nachjagen. Über die Bedeutung dieses formal mehr als nur gewöhnlichen Vereinswechsels werde ich mir erst in den Monaten danach so richtig klar. „Noch wichtiger als der sportliche Erfolg ist uns die voranschreitende Integration und ein vorbildliches Erscheinungsbild nach außen hin“, wird mir mein Freund Alkan Bag Jahre später in einem Interview für anpfiff ins Telefon diktieren.


Die ersten beiden Ausländer in der Vereinsgeschichte des TSC Bamberg: Bernd und Ralf Riemke (liegend).
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Jahre später, denn aus beruflichen muss ich im Sommer 2003 nach 81 Spielen für meinen Verein den TSC Bamberg verlassen. Ich muss! Denn ich erinnere mich nur zu gut an das letzte Spiel beim VfL Mürsbach. Nach vier Spielen und zehn Punkten der noch jungen Saison 2003/04 verlagert sich mein Lebensmittelpunkt gen Mittelfranken. Ich verabschiede mich mit einem 2:1-Erfolg über den ASV Reckendorf, komme jedoch noch ein letztes Mal zurück. Ich reise 180 km an, um meine letzte Partie zu bestreiten. In Mürsbach laufe ich in der 2. Mannschaft auf, werde zum Spielführer für eine Begegnung ernannt und nach 90 Minuten als zweifacher Torschütze gefeiert. In der Halbzeitpause gibt es Tränen – meine Tränen. Nach gut dreieinhalb wundervollen Jahren sind etwa dreißig Mitspieler in der Kabine versammelt. Ich verkünde meinen Abschied, bei dem mir die Worte fehlen und mir Bilder aus der ohne Zweifel schönsten Fußballerzeit meiner Laufbahn durch den Kopf schießen.

Erstes Training, erstes Heimspiel

Ich erinnere mich, dass sich beim ersten Training ein Spieler mit dem Namen „Güngör“ vorstellte und ich mich wunderte, warum ich fortan der einzige war, der ihn so rief. Es muss der gegenseitige Respekt gewesen sein, der ihn dazu bewegte, mir seinen Nachnamen zu nennen. Respekt, dem ich ihm ohne Umschweife erwidern konnte, denn das beinahe ehrfürchtige „abe“, das ein Türke einem älteren Mitbürger in der Ansprache entgegenbringt, wurde mir nicht nur rasch geläufig, ich sprach es vielmehr voller Anerkennung aus. Ich erinnere mich an das erste Pflichtspiel auf heimischem Gelände gegen BSC Bamberg, als ich plötzlich vor der Partie auf dem Rasen im Spielerkreis das Wort ergriff und unsere Jungs heiß auf das Spiel machte, das wir schließlich 4:1 gewinnen sollten. Ich erinnere mich an den Aufstieg, den wir in diesem Jahr feiern konnten – den ersten des TSC in der Vereinsgeschichte. Ich erinnere mich an zahllose Grillfeste, bei denen ich lernen durfte, was Gastfreundschaft ist. Ich erinnere mich daran, dass ich Freunde gefunden habe. Die Kameraden, die das gleiche Trikot trugen wie ich waren keine Mitspieler, es waren Freunde geworden, mit denen ich viel Zeit außerhalb des Fußballplatzes verbracht habe. Ich erinnere mich an die Worte eines dieser Freunde im Café Abseits in Bamberg, als er mich versuchte zu ermuntern „Ich habe dich noch nie Schweinefleisch essen sehen!“ Dieser Tatsache war ich mir nicht bewusst. Es muss wohl der gebührende Anstand gewesen sein, der mich – die religiöse Anschauung meiner Freunde respektierend – fleißig zum Salatesser hat werden lassen. Ich erinnere mich, dass ich all diese Dinge nicht von mir selbst erzwingen musste, sondern dass mir meine Kameraden das Gefühl gaben, aufgehoben zu sein, mich geborgen fühlen zu dürfen und INTEGRIERT zu werden. Ich wurde integriert! Mit Stolz und einem wohligen Gefühl drehe ich mich heute noch auf der Straße um, wenn mir ein „uzun“ hinterhergerufen wird. Als die spaßige „Wir-nennen-unseren-Deutschen-Hans“-Phase vorbei war, „bekam“ ich meinen eigenen Spitznamen. Lange hat es gedauert, bis in einem deutschen Verein jemand auf die Idee kam, mich „Langer“ zu nennen. Uzun hat die wohl gleiche Bedeutung! Ich sprach also mein erstes türkisches Wort. Zugegeben, die Motivation, die Sprache zu erlernen sank relativ rasch, nachdem mir nach ersten Versuchen bewusst wurde, wie schwer diese zu verinnerlichen ist. Aber noch heute verabschiede ich mich von meinem Freund Ismail Yilmaz mit einem „öptüm“ per sms, küsse ihn zur Begrüßung auf beide Wangen und habe deutsche Freunde angesteckt, sich am Telefon mit einem freundlichen „efendim“ zu melden. Ein freundschaftliches Miteinander ist mehr als Sprache und cay – den türkischen Tee – trinken (obgleich ich zugeben muss, dass ich gelernt habe, die türkische Küche zu lieben). Es ist der erwähnte Respekt, es ist das Kennenlernen eines Lebensgefühls, es ist das Wertschätzen einer Mentalität, die nur auf den ersten Blick so ganz anders ist als die deutsche. Ich habe Türken kennenlernen dürfen, die offenherzig und ehrlich auf ihre Mitmenschen zugehen, die um Integration in einem Land bemüht sind, in dem sie geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen sind. In dem sie die Sprache des Landes gelernt haben, eine Ausbildung absolviert haben und in dem mancher „deutscher“ ist als jeder Deutsche.

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