Abbruch das letzte Mittel: Spielabbruch bei rassistischer Beleidigung? - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 15.01.2022 um 08:00 Uhr
Abbruch das letzte Mittel: Spielabbruch bei rassistischer Beleidigung?
In der 3. Liga gab es den ersten Abbruch eines Spiels wegen eines Rassismus-Eklats. Diese Begegnung soll nun wiederholt werden. Doch werden auch auf Kreis- oder Landesebene bald Spiele wegen rassistischen Beleidigungen abgebrochen?
Von Uwe Kellner
Guten Tag Herr Gründel, ich würde heute gerne Bezug auf den Rassismus-Vorfall in der 3. Liga zwischen dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück nehmen. Diese Begegnung wurde nach einer rassistischen Beleidigung eines Fans abgebrochen. Jetzt brechen wir das auf den Amateurfußball in den unteren Klassen herunter. Sollte beziehungsweise muss ein Schiedsrichter auf Landes-, Bezirks- oder Kreisebene genauso reagieren und ein Spiel nach einer rassistischen Beleidigung abbrechen?
Johannes Gründel: In letzter Konsequenz, ja. Allerdings ist der aktuelle Stand nicht, dass wir direkt nach der ersten rassistischen Parole abbrechen. In Bayern gilt zwar nicht der berüchtigte Drei-Stufen-Plan, aber dennoch ein mehrstufiges Vorgehen. Angesichts der Reaktionen auf den sofortigen Spielabbruch in der 3. Liga möchte ich aber nicht ausschließen, dass es in Zukunft auch bei uns zu schnelleren Abbrüchen kommen könnte. Ob hier eine neue Anweisung kommt, wird die Zeit zeigen.

Es gibt also eine andere Lösung als einen Spielabbruch?

Johannes Gründel: Ja, genau. Der Spielabbruch muss immer das letzte Mittel sein, weil es der schwerstmögliche Eingriff in das Spiel ist. Deshalb gibt es dieses mehrstufige Vorgehen, das Sammeln an der Mittellinie, einen Gang in die Kabinen und als letztes Mittel den Spielabbruch vorsieht. Wie viele Vorfälle es für den Abbruch geben muss, hängt auch von der Sicherheitslage im Falle eines Abbruchs und von möglichen Weisungen der Polizei ab. Wenn es um Banner mit rassistischem Inhalt geht, ist das Spiel erst fortzusetzen, wenn das Banner entfernt wurde. Soweit notwendig und es keine unverhältnismäßige Überreaktion darstellt, verlassen Schiedsrichter und Mannschaften das Spielfeld und kehren erst wieder zurück, wenn das Banner entfernt ist. Die Vorgaben des BFV sind aber auch auf der BFV-Homepage veröffentlicht <hier klicken>, wobei das Vorgehen bei rassistischen Beleidigungen analog zu dem bei Pyrotechnik ist. Zum Glück passiert so etwas bei uns aber fast nie.

Wer trifft die Entscheidung über einen Spielabbruch? Was passiert, wenn
eine Mannschaft sich weigert weiterzuspielen?

Johannes Gründel: Die Entscheidung über den Spielabbruch trifft alleine der Schiedsrichter. Wenn eine Mannschaft sich weigert weiterzuspielen, kann man sie natürlich nicht dazu zwingen. Allerdings spielt es für die sportgerichtliche Wertung eine wichtige Rolle, ob der Schiedsrichter das Spiel wegen des Vorfalls abgebrochen hat oder weil sich die Mannschaft geweigert hat weiterzuspielen.

Johannes Gründel, Lehrwart der Schiedsrichtergruppe Forchheim, erklärt das Vorgehen bei rassistischen Zwischenfällen.
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Was ist, wenn der Schiedsrichter die rassistische Beleidigung nicht selbst hört, sondern von Spielern darauf aufmerksam gemacht wird?
Johannes Gründel: In einer solche Konstellation sind dem Schiedsrichter leider die Hände gebunden. Man kann im Normalfall nur Dinge ahnden, die man selbst oder ein neutraler SRA wahrgenommen hat. Es könnte ja sein, dass der Spieler etwas falsch verstanden hat oder – was ich aber natürlich niemandem unterstellen möchte – schlicht lügt. Deshalb kann man als Schiedsrichter in solchen Situationen nur präventiv tätig werden, und zwar in zwei Richtungen: Zum einen sollte man über den Ordnungsdienst versuchen, durch höhere Präsenz weitere rassistische Beleidigungen zu vermeiden. Zum anderen sollte man auch den beleidigten Spieler beruhigen. Denn wenn der sich in seiner (verständlichen) Wut zu einer Unbeherrschtheit hinreißen lässt und deshalb vom Platz fliegt, hat der Rassist sogar noch einen Bonus bekommen.

Was passiert, wenn der Schiedsrichter die rassistische Beleidigung vernimmt, aber nicht zuordnen kann?
Johannes Gründel: In dem Fall greift "das mehrstufige Vorgehen" dennoch, weil dann klar ist, dass es eine rassistische Beleidigung gab. In dem Fall sollte man als Schiedsrichter den Ordnungsdienst auffordern, den Täter nach Möglichkeit zu identifizieren, ggf. auch mit Hilfe der Polizei. Für das Vorgehen am Platz selbst ändert es aber nichts, ob der Täter identifiziert werden kann oder nicht.

Welche Konsequenz durch das Sportgericht gibt es im Falle eines Spielabbruchs nach einer rassistischen Beleidigung?
Johannes Gründel: Da ist im Zweifel das Sportgericht der richtige Ansprechpartner. Die Aufgabe des Schiedsrichters besteht in der Spielleitung vor Ort und in der Meldung der Geschehnisse an das Sportgericht. Wie das Sportgericht dann entscheidet, liegt in deren Zuständigkeit und interessiert mich als Schiedsrichter auch nicht. Höchstens als Fußballfan und als Gegner von Rassismus.

Vielen Dank für das Interview!

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