Fußballfieber in der Kreisklasse: Alte Legenden im Sportheim - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 16.05.2021 um 12:00 Uhr
Fußballfieber in der Kreisklasse: Alte Legenden im Sportheim
Feierwütige Fußballspieler, cholerische Spielleiter, einfältige Zuschauer der Kreisklasse und rassige Derbys - Sonntagsschüsse ist ein Buch über die Liebe zum Fußball. anpfiff.info präsentiert Ihnen Auszüge aus dem wirklich gut geschriebenen Roman. Heute: Alte Legenden im Sportheim - Ein Auszug aus dem Kapitel "SV Möhrich - TSV Weiherfelden".
Von Jonas Philipps
Die ganze Woche lang fieberte ich dem Samstag entgegen. Ich war neugierig, was mich beim Ansehen eines Bundesligaspiels im Weiherfeldener Sportheim erwartete. Meine Gedanken kreisten um kauzige Gestalten wie den Don und seinen Regisseur. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass ein Samstag­nachmittag im Kreise dieser illustren Gesellschaft spekta­kulär werden konnte.

Zunächst verlief alles recht gewöhnlich. Das Sport­heim war gut gefüllt. Viele Weiherfeldener Männer waren gekommen und hingen gespannt am Bildschirm, während der FC Bayern den 1. FC Köln mit 4-0 nach Hause schickte. Das Bier floss in Strömen, aber das war ich seit meinem Umzug nach Franken ja bereits gewohnt. Lustig oder gar spektakulär war das Ansehen des Fußballspiels aber nicht. Mein Mannschaftskollege Niklas Dinger saß am gleichen Tisch wie ich und hatte beim Schlusspfiff der einseitigen Bundesligapartie offenbar eine leichte Ent­täuschung in mei­nem Gesicht ausgemacht.

„Jetzt pass auf“, murmelte er mir zu und wies grinsend mit hochgezogenen Augenbrauen auf einen Tisch, an dem eine größere Gruppe eingefleischter Weiherfeldener auf den Münchner Sieg anstieß.
„Diese Bundesligaspieler heutzutage“, seufzte schließ­lich ein älterer Herr mit altmodischem Scheitel.
Sein Gegenüber setzte kopfschüttelnd sein Bierglas ab und zog verächtlich die Augenbrauen hoch: „Schwein­steiger. Lahm. Die hätten es früher bei uns gerade mal in die 2. Mannschaft geschafft.“

Besorgt blickte ich Niklas Dinger an, der nur mit Mühe ein prustendes Lachen unterdrücken konnte. Waren die denn von allen guten Geistern verlassen? Bayern München hatte soeben ein 90-minütiges Feuerwerk abgebrannt und den 1. FC Köln nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Sie waren auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft. Meinte dieser Haufen alter Männer denn wirklich, dass diese Weltklassefußballer es früher kaum in ihre Reservemannschaft geschafft hätten?

„Naja, das waren einfach noch andere Zeiten. Tech­niker waren wir! Feine Techniker!“
„Dieses Gebolze heute auf dem Fernseher, das kann man ja nicht mehr mit ansehen!“
„Hast du den Van Buyten hinten in der Abwehr gesehen?“, fragte ein heiserer Mann mit einem kläglichen Rest grauer Haare entrüstet. „Früher im Eckla, da hätten wir dem an Knoten in die Baa gspielt. Der würd ja heut noch von einem Hütchen zum andern rennen, wenn wir unser Training nicht vor 40 Jahren beendet hätten!“
Mit deftigem Gelächter prosteten die Helden von einst einander zu und befeuchteten ihre von den schwungvollen Reden ganz ausgetrockneten Lippen.

"Sonntagsschüsse" von Hobbyautor Jonas Philipps nimmt seine Leser mit in die Welt des Amateurfußballs.
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„Diese Profis heutzutage. Zum Frühstück hätten wir die früher verspeist! Die hätten sich ja vor Angst in die Hosen geschissen, wenn der Rudi mit seinen zwei Metern zehn auf sie zugestürmt wäre.“
„Und schneller als die Spieler heute war der Rudi auch noch. Mensch, war der wendig mit seinen zwei Metern zwanzig!“
Niklas konnte sein Lachen nicht länger unterdrücken. Kichernd verfolgte er das unterhaltsame Schwelgen in den von Bier getrübten Erinnerungen.
„Was gibt’s denn da zu Lachen, Sohnemann?“, fragte der Mann mit der grauen Halbglatze. Das war also Niklas Vater? Kein Wunder, dass Niklas immer so vorlaut und einfältig war.
„Also früher in eurer schwarz-weißen Welt, da müssen die Fußballer aber ganz schön schnell gewachsen sein“, grinste Niklas belustigt.
„Schwarz-weiße Welt“, schimpfte Niklas Vater missbilligend. „Setz dich mal mit rüber, dann wirst du schon hören, was wir damals für Teufelskerle waren. Drei Aufstiege in zehn Jahren sag ich nur. Drei Aufstiege in zehn Jahren!“
„Und nimm deinen ostpreußischen Kollegen mit. Damit der auch mal was Vernünftiges lernt!“
„Ich komme aus Hamburg“, erwiderte ich neunmal­klug und erntete zehn abwertende Blicke vom Stamm­tisch.
„Alles Preußen!“ Die alten Weiherfeldener waren einer Meinung. Basta!
Zögerlich folgte ich meinem Kollegen Niklas an den Tisch. Diese kauzigen Männer waren mir irgendwie unbe­haglich.
„Da siehst du mal“, begann ein kleiner runzeliger Mann Anfang sechzig, und stieß mir kumpelhaft mit dem Ellbogen gegen die Schulter, als wäre ich schon seit jeher einer von ihnen gewesen. „Die Kirchtheiner haben euch letzte Woche gezeigt wie´s geht!“

Niklas bemerkte meinen skeptischen Blick und sah an meiner Miene, dass ich bereits etwas erwidern wollte, bewahrte mich aber mit einem kurzen Fußtritt davor, diesen selbsternannten Fußballexperten von den Vorteilen eines strukturierten Aufbauspiels aus einer technisch ver­sierten Defensive zu philosophieren.
„Die haben eben noch klare Dinger hinten raus gespielt. Kein sinnloses Ballgeschiebe in der eigenen Hälfte!“
„Lange Bälle in die Spitze – ich hab´s schon immer gesagt. Es gibt nichts Besseres!“
„Das war Fußball, sag ich euch. Das war Fußball. Ihr könnt von Glück sagen, dass ihr kurz vor dem Schluss­pfiff noch den Ausgleich geschossen habt!“
„Wenn es früher schon so Videokameras gegeben hätte. Ach, da hätten wir euch zeigen können, was wir damals für Fußballer waren. Grandios war das. Grandios!“
„Gegen Mannschaften wie einen 1. FC Kirchthein wären wir nicht einmal angetreten. Das sag ich euch“, trommelte Niklas Vater euphorisch. „Das waren schon andere Kaliber, mit denen wir uns damals messen mussten. Aber wir haben sie alle besiegt!“
„Kirchthein. Hatten die damals überhaupt schon eine Fußballmannschaft?“, lachte ein bärtiger Kollege und klopfte seinem Nebenmann zustimmend auf den Rücken.
„Vermutlich nicht. Kirchthein. Das wären ja nur Opfer für uns gewesen.“
„Zweistellig hätten wir die nach Hause geschickt!“
„Mit verbundenen Augen und zusammengeknoteten Beinen!“
Kopfschüttelnd stahl sich unser Spielleiter Willi aus dem Sportheim. Kein Wunder. Bei dem Gerede konnte man ja nur die Flucht ergreifen.
„Was habt ihr früher gespielt, Papa?“, fragte Niklas verschmitzt. „C-Klasse? Ist das nicht eine Liga niedriger als das, was wir heute spielen?“
Entrüstet polterte Niklas Vater sein Bierglas zurück auf den Holztisch. „Sei mal nicht so frech zu deinem alten Herrn!“

Fußball und Bier geht miteinander einher. Fußball und Buch? Dieser Herausforderung hat sich der Autor von "Sonntagsschüsse" gestellt.
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Sein Kollege war der gleichen Meinung: „Genau Sepp! Deinem Jungen solltest du mal kräftig was hinter die Löffel geben!“
„Außerdem kann man das überhaupt nicht vergleichen! Das war ein ganz anderes Niveau damals. Die C-Klasse vor 30 Jahren, die war mindestens so stark wie heute die Bundesliga. Fußballer waren das! Das könnt ihr euch heutzutage gar nicht mehr vorstellen.“

„Genau! Wir alle hätten drei oder vier Klassen höher spielen können. Aber wir haben uns für den TSV ent­schieden!“
„Für den TSV!“, riefen alle zehn Veteranen wie aus einem Munde und erhoben ehrfürchtig ihre majestätisch schäumenden Gläser.
Und so rannen die Minuten dahin. Die alte Garde des TSV Weiherfelden erzählte Niklas und mir eine Anekdote nach der anderen. Sie ließen nichts aus. Verprügelte Schiedsrichter, deren klapprige Fahrräder man nach einer Niederlage auf das Dach des Sportheims gehängt hatte. Denn ohne Hilfe des Schiedsrichters hätte diese Mannschaft niemand schlagen können.

Sie berichteten von drei Fallrückziehertoren im ent­scheidenden Aufstiegsspiel gegen einen Kontrahenten, der so hart und brutal gewesen war, dass sie abends am Biertisch ihre steinernen Maßkrüge in die Luft warfen und mit dem Kopf aus dem offenen Fenster beförderten. Kopfballtraining hatte man das damals genannt.
„Und weißt du noch, als der Hodhaddern­nachalasch-Fritz sich gegen Hohenstein beide Füße ge­brochen hat? Mit dem Zipfel hat er nach meiner Ecke den entscheidenden Ball über die Linie gedrückt. Mit dem Zipfel! Etwas anderes war ihm ja nicht übriggeblieben, bei zwei gebrochenen Füßen!“

Am Ende schwor Niklas Dingers Vater gar auf alles was ihm lieb und teuer war, dass er auf dem Höhepunkt seiner Karriere Streit mit dem Weiherfeldener Platzwart gehabt hatte, da er früher so schnell laufen konnte, dass der Rasen hinter ihm stets in Flammen stand.
Ich amüsierte mich köstlich, als plötzlich wie aus dem Nichts unser guter alter Spielleiter Willi am Stammtisch auftauchte. In seiner Hand flatterte ein zerknitterter, antik anmutender Zettel.

„Ich war soeben unten im Archiv“, begann Willi mit lauter, durchdringender Stimme, so als wolle er etwas Bahnbrechendes verkünden. Alle Augen richteten sich gebannt auf ihn und seinen geheimnisvollen Zettel.

„Ich verlese:
Spielberichtsbogen C-Klasse Ost
Datum: 18. April 1976
1. FC Kirchthein – TSV Weiherfelden“
Mit einem Mal wurde es mucksmäuschenstill im Sportheim. Die Spannung war greifbar. Was hatte Willi denn da ausgegraben?
„Aufstellung TSV Weiherfelden:
Nummer 1: Eberhart Gepard“
Der Bärtige zuckte angstvoll zusammen und schien förmlich in seinem Stuhl zu versinken.
„Nummer 2: Franz Mann“
Hüstelnd versuchte der nächste Fußballveteran ver­geblich, sich hinter seinem Bierglas zu verstecken.
„Nummer 3: Rudolf Müller
Nummer 4: Friedrich Götz
Nummer 5: Baptist Meier
Nummer 6: Josef Dinger“
Niklas Vater machte ein mürrisches Gesicht und musterte Willi mit finsterem Blick.
„Nummer 7: Ernst Gepard
Nummer 8: Willibald Hofner
Nummer 9: Wolfgang Schick
Nummer 10: Bertram Kohler
Nummer 11: Heinrich Sepper“

Willi machte eine kurze Kunstpause. Doch jeder konnte bereits ahnen, was nun folgen musste. Einige alte Männer erweckten den Eindruck, eine so schnelle Flucht zu planen, dass durchaus der Rasen hinter ihnen in Flammen stehen würde.
Wie ein Peitschenhieb schmetterte Willis Stimme durch die stickige Luft: „Ergebnis: 1-0 für den 1. FC Kirchthein!“

Josef Dingers wütende Proteste übertönten das brüllende Gelächter im Sportheim: „Das eine Spiel sagt doch gar nichts! Da waren wir betrunken!“
„Schiebung war das damals. Eine ganz hinterlistige Schiebung!“
„Außerdem hatte Kirchthein damals eine Mannschaft, die hätte euch alle in Grund und Boden gespielt!“
„Zwei Fußballer hatten die in der Spitze, da wären ein Beckenbauer oder Gerd Müller vor Neid erblasst!“

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Sonntagsschüsse - Fußballfieber in der Kreisklasse

Autor: Jonas Philipps, Verlag: Books on Demand
ISBN: 978-3-7448-1944-2 / E-Book-ISBN: 978-3-7448-6042-0

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Kurzvita Jonas Philipps

Jonas Philipps wurde im Jahr 1981 in Forchheim geboren. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen im Landkreis Bamberg. Seine Leidenschaft für das Schreiben von Geschichten entdeckte Jonas Philipps im Alter von 18 Jahren durch die Verfassung von Song-Texten. Nach ersten jugendlichen Gehversuchen im Genre Fantasy beschloss Philipps schließlich, sich auf witzige, unterhaltsame Literatur in den Bereichen Sport und Musik zu fokussieren. Jonas Philipps aktuelle Veröffentlichung trägt den Titel "Sonntagsschüsse - Fußballfieber in der Kreisklasse".

Kurzbeschreibung

Feierwütige Fußballspieler, cholerische Spielleiter, einfältige Zuschauer der Kreisklasse und rassige Derbys - Sonntagsschüsse ist ein Buch über die Liebe zum Fußball. Der humorvolle Sportroman ist ein Muss für alle Fußballfans und Amateur-Kicker!

Der junge Amateurfußballer Marco Tanner zieht mit seinen Eltern von Hamburg nach Oberfranken. In seinem neuen Heimatort Weiherfelden macht sich der Amateur-Kicker wegen seines fußballerischen Talents einen Namen. Während Marco in der schrulligen Kreisklasse Nord die zünftigen Untiefen des fränkischen Wesens erkundet, stolpert er mit sympathischer Naivität von einem Fettnäpfchen ins nächste.

Doch plötzlich wird es ernst: Die hoch gehandelte Amateur-Fußballmannschaft steckt mitten im Abstiegskampf. Marco muss entscheiden, was er nach dem Zivildienst mit seinem Leben anfangen möchte. Gleichzeitig bringt ihn die komplizierte Hassliebe zur süßen Annika beinahe um den Verstand. Der Auftakt zu einem turbulenten Saisonfinale!

Eingefleischte Amateurfußballer werden sich in den episodenhaften Geschichten über den TSV Weiherfelden mit einem wissenden Schmunzeln an die eine oder andere legendäre Anekdote aus dem eigenen Verein erinnern.

Der Forchheimer Autor Jonas Philipps spazierte während seiner Elternzeit regelmäßig kinderwagenschiebend an einem Sportplatz vorbei. Viele Geschichten aus seiner eigenen Fußball-Zeit erweckten Erinnerungen aus der damaligen Vereinszeit. Kurzerhand setzte er sich zu Hause an den Schreibtisch und klopfte seinen Sportroman Sonntagsschüsse in die Tasten.

Wer selbst oft auf dem Sportplatz steht, im Verein trainiert oder gerne Bücher aus Franken liest, wird von diesem witzigen Sportroman begeistert sein. Jetzt kaufen und die schönsten Geschichten aus dem Amateur-Fußball aufleben lassen!

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