Eine eSoccer-Glosse: Ein Hoch auf's Getricksel mit Pixel - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 01.04.2020 um 14:00 Uhr
Eine eSoccer-Glosse: Ein Hoch auf's Getricksel mit Pixel
MAGAZIN Dass die Saison nicht im eFootball oder eSoccer zu Ende gespielt wird, das wussten die meisten Leser natürlich auch ohne Blick auf das heutige Datum. eSoccer ist aber zumindest mittlerweile in der Satzung des Bayerischen Fußballverbandes verankert, hat also seinen Platz gefunden. Ansichten eines alten, (käs)weißen Mannes, der verzweifelt versucht, mit der Zeit zu gehen...
Von Markus Schütz
Ich habe nämlich überhaupt nichts gegen Gaming und Gamer, jeder darf sich "SubaruMikey", "Terrence Skill" oder "Schaafschütze" nennen und sich die Daumen wund gamen, wie er es für richtig hält. Und ich weiß natürlich auch, dass die Digitalisierung mehr und mehr Einzug hält und davor verschließe ich mich auch nicht. Schließlich habe ich vor Kurzem mein erstes Webinar besucht, beinahe hätte es auch schon einmal mit Sype geklappt und pro Tag versuchen vier oder fünf meiner Whatsapp-Kontakte plötzlich, mich per Video-Anruf zu erreichen.

eSoccer passt da freilich ins Bild dieser fortschreitenden Digitalisierung. Und die Verbände sprangen schon längst auf einen Zug auf, der äußerst lukrativ ist. Will man ihnen das vorwerfen? Selbst Uli Hoeneß, der anfangs noch überhaupt nichts von eSport hielt, sich vehement wehrte und der antiquierten Meinung war, "junge Leute sollen Sport auf dem Trainingsplatz treiben", drehte sich um 180 Grad, als ihm wohl einer steckte, dass das die Kassen klingeln lässt. Auch bei mir hat es Klick gemacht, als der deutsche eNationalspieler "MoAuba" Harkous für seinen Sieg bei der FIFA19-WM 224000 Euro Preisgeld erhielt. Dafür muss man umgerechnet ca. 30 Jahre eine Kreisklassen-Mannschaft trainieren. Oder mehrere hundert Male den Toto-Kreispokal gewinnen.

"Ich bin fei Brofi beim Glubb!"  

Ich weiß also durchaus und akzeptiere, dass es dafür einen stetig wachsenden Markt gibt. Trotzdem kann ich mich irgendwie nicht damit anfreunden, dass der Mann im XXL-FCN-Trikot, der neben mir an der Bar sitzt, vielleicht plötzlich und ohne zu lügen sagen könnte: "Ich bin fei Brofi beim Glubb." eSoccer wurde jedenfalls in die BFV-Satzung mit aufgenommen. Dort wird unter § 4 (1) die "Erziehung zu sportlicher Disziplin, Kameradschaft und Ritterlichkeit" als Aufgabe des Verbandes angesprochen. Wichtiger Hinweis an die Gamer: Mit dem Begriff Ritterlichkeit sind nicht PS4-Spiele wie "A Knight's Quest" oder "Hollow Knight" gemeint. Löblich ist, dass der BFV sich beim eSport auf eSoccer und damit auf eine "weitere Spielform des Fußballs" konzentriert und Spiele ausschließt, in denen auf Menschen geschossen wird. Bei einem Freistoß im traditionellen Fußball zu sagen: "Den Heini schieße ich jetzt aus der Mauer raus...!" ist zwar auch nicht ritterlich, aber situativ immer Mal einen Versuch wert. 

Ist eSport eigentlich Sport?

Über die Frage, ob eSport überhaupt Sport ist, wird heiß diskutiert. Ich bin ehrlich, mir ist das egal, auch da darf jeder seine eigene Meinung haben. Aber ich will es mal so sagen: Tofu-Wurst ist ja bestimmt auch eine Wurst. Roboter-Texte sind auch Texte. Wer einen Dreier mit Zusatzzahl hat, darf sich per Definition ja auch Lotto-Gewinner nennen. Und wer nach dem Cyber-Sex eine E-Zigarette rauchen will, der soll das meinetwegen tun. Manchmal ist das Gleiche halt nicht dasselbe. 

Ziel: Über die Konsole auf den Platz?! 

Was ich allerdings nicht glaube, ist, dass der "echte" Fußball von eSoccer profitieren wird. Denn durch ihn, mit ihm und über ihn sollen junge Zocker an den Fußball herangeführt werden. Eine ziemlich optimistische Hoffnung, die Präsident Dr. Koch allerdings schon 2018 im kicker-Interview zum Ausdruck brachte: "(...) wer sich näher damit beschäftigt, wird schnell erkennen, dass wir es schaffen können, Jugendliche, die vornehmlich an der Konsole spielen, auch wieder über die Gemeinschaft auf den Platz zu bringen." Und auf der BFV-Homepage wird Vize-Präsident Robert Schraudner zitiert: "Unser Ziel ist es, über eFootball noch mehr Menschen für den Fußball zu begeistern." Vielleicht täusche ich mich, aber ich habe meine Zweifel, dass Spieler, die bisher vorwiegend oder gar ausschließlich einem virtuellen Ball auf Pixel-Grün hinterher gejagt sind und denen es körperlich nicht wehtat, wenn sie gefoult wurden, es "einfach mal in echt" probieren wollen. 

Aber wenn das funktioniert - dann werden sicher auch andere Verbände nachziehen und ihre eigenen eSport-Events powern. Dann werden in den Mitgliederverzeichnissen blühende Landschaften entstehen, es werden die ersten eGolfer die Controller wegwerfen, das Eisen packen und den Schritt auf den Golfplatz wagen, um zu sehen: Es gibt ja nicht nur Löcher auf dem Bildschirm, sondern auch in der Erde. Hoffentlich gehen dann auch ihre eCaddys mit, wenn sie merken, dass der Kraftaufwand beim Ziehen an der Konsole vergleichsweise überschaubar ist. eReitern wird es beim eRiding zu langweilig werden, sich immer nur mit der Kraft ihrer zwei Daumen auf dem Pferderücken zu halten. Sie werden sich einen eigenen Gaul zulegen - und hoffen, er kann genauso gefüttert werden, wie früher die Tamagochis. eSchwimmer wollen endlich selbst einmal nass werden, kaufen sich Badehosen und machen vor dem Sprung ins sprichwörtlich kalte Wasser schnell noch online das Seepferdchen. Oder, durch die bisher fehlende Bewegung nach und nach etwas korpulenter geworden, das Nilpferdchen...

Wenn der Realitäts-Schock eintritt

Ich befürchte nur: So, wie das Leben an Reiz dadurch verliert, dass man es lebt - so wird es auch beim eSport sein. Wenn ich mit meinen 1,70 m und 86 Kilos in der Realität eben keinen Dunk machen kann, weil dieser verschissene Korb höher hängt, als man es vom Sofa aus erahnen konnte. Wenn ich das Loch in der Erde eben nicht so gut treffe, wie das auf dem Bildschirm. Und wenn ich dann vom Achten zum Neunten tatsächlich selbst latschen und nicht nur auf Enter drücken muss - oder auf X oder wohin auch immer. Wenn das Pferd gefüttert und gestriegelt werden will. Wenn der Fallrückzieher, sollte er überhaupt gelingen, bei der unsanften Landung umgehend seinen Reiz verliert und ich merke, dass ich mir in der Realität Skills nicht durch virtuelles Geld kaufen, sondern durch Training bei Wind und Wetter erarbeiten muss. Oder wenn mein Fußball-Trikot im echten Leben zwar noch mehr spannt als bei Ronaldo, nur eben an ganz anderen Stellen. 

Dann wird es vielleicht eher so sein, dass junge Leute den Weg vom grünen Rasen an die Konsole gehen werden - und nicht umgekehrt. Vor allem dann, wenn sie merken, dass sie dort nicht nur als Gamer, sondern sogar als Sportler (wenn auch mit einem "e" davor) Anerkennung erfahren - und wenn sie möglichst lange vor der Konsole sitzen, vielleicht sogar ein bisschen Geld damit machen können! Und wenn sie sich aus zeitlichen Gründen entscheiden müssen zwischen Zocken und Fußball-Training. Beides neben der Schule und den Hausaufgaben geht nicht. Sagt die Mama.

eSoccer und eSports werden sicher mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Es bleibt für uns alle, auch für den Verband, einfach zu hoffen, dass es  dennoch weiterhin genügend Fußballer gibt, denen eine echte Grätsche lieber ist als eine virtuelle. Auf echtem Rasen, dem man nicht nur ansieht, dass er frisch gemäht wurde. Man riecht es auch. Und wenn kurz vor dem Anpfiff ein leichter Regen eingesetzt hat, dann kleben die Halme nach dem Tackling am feuchten Oberschenkel, während wir den Gegenspieler (natürlich mit Ball) über die Klinge springen lassen. Und wenn wir dann im Augenwinkel sein leicht schmerzverzerrtes und wütendes Antlitz sehen, dann lässt sich dieses Gefühl nicht programmieren. Dass die Gesichter der Gegner in dem Moment halt nicht so aussehen, wie die (zugegeben täuschend echt) zusammengepixelten von Ronaldo oder Neymar, damit kann ich ganz gut leben!

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