Glückliche Amateure: Das stille Leid der Profifußballer - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 19.11.2018 um 19:00 Uhr
Glückliche Amateure: Das stille Leid der Profifußballer
Jeder Amateurfußballer weiß, wie sehr er sich anstrengen muss, um seine Höchstleistungen nicht nur abzurufen, sondern auch zu steigern. Und natürlich blickt man, wenn einem die Seite kneift, die Lunge brennt, das Trikot keine trockene Faser mehr besitzt, neidisch auf die Profis.
Von Manni Meisenkaiser
Aber es wirkt einfach wesentlich leichter, viel mehr „aus der Hüfe raus“, als das, was man sich selbst leistungsmäßig abtrotzen muss. Und selbst dann, wenn man sich selbst zu den größeren Sportskanonen zählt, die problemlos hohe Leistungen abrufen können, sind die Profis doch immer ein wenig Neidobjekt: Bei denen geschieht das alles nicht aus Spaß an der Freude, so wie es in Karlburg geschieht, in Gochsheim, Erlangen oder den anderen Clubs der lokalen Ligen, sondern es steckt Geld dahinter – richtig viel Geld.
Wer ein paar Jahre lang erste oder zweite Liga spielt, so glaubt man, der muss sich um sein finanzielles Auskommen nicht mehr sorgen. Allerdings sitzen wir alle, die darauf neidisch sind, einem Trugschluss auf: Es ist nicht so einfach, wie es aussieht. Und der Profifußball kann einen Spieler körperlich und seelisch fix und fertigmachen – doch nur ganz selten gibt es einer derjenigen zu, die in der Öffentlichkeit den strahlenden Helden geben (müssen). Per Mertesacker etwa, der sich offenbarte und rechtzeitig die Reißleine zog. Oder Robert Enke, der am Druck zerbrach. Auf den folgenden Zeilen wollen wir einen kleinen Einblick in die anstrengende Seite dieser Welt geben, die von den großen Vereinen, den Sportlern und den Werbetreibenden so oft verschwiegen wird.

1. Die Teambelastung

Jeder, der Fußball spielt, kennt die Regel: Ein Team ist weitaus mehr als die Summe seiner Einzelspieler. Das wusste nicht nur schon Aristoteles, das sagt auch der DFB. Ein Team kann zusammen größere Leistungen erbringen als es jeder seiner Spieler für sich könnte, kann weit über sich hinauswachsen. Der Druck, den man sich als Team von innen macht, der Druck, der durch die Erwartungshaltung von Fans, von Teamchefs, Werbepartnern usw. von außen kommt, kann überirdisches vollbringen.
Das ist die eine Seite der Medaille. Denn dieser Druck von innen und außen kann auch das genaue Gegenteil bewirken. Dann, wenn das Team als solches – sowohl in seiner Gesamtheit wie der Leistungsfähigkeit seiner Einzelspieler – durch den Druck über Gebühr gefordert wird. Schauen wir uns dazu die Europa League an. Denn gerade sie ist überraschend oft dafür verantwortlich, dass qualifizierte Bundesligateams, die nicht zu den Standard-Kandidaten von Champions League und Co. zählen, mit der Doppelbelastung schwere Probleme bekommen. Dahinter stecken komplexe, sich gegenseitig beeinflussende Wirkprozesse. Die reine sportliche Mehrbelastung ist einer davon: In der Zeit, in der für andere Teams „nur“ die BL-Pflichtspiele auf dem Programm stehen, müssen EL-Teilnehmer viel mehr leisten – selbst dann, wenn sie nur die zweimal drei Vorrundenspiele absolvieren müssen.
Aber es steckt auch die Tatsache dahinter, dass gerade die Überraschungskandidaten, die kleineren Bundesliga-Truppen, von anderen europäischen Teams, deren Budget weitaus üppiger ist, gerne anschließend „abgeerntet“ werden; sie sind auf Transfergelder angewiesen. Das Ergebnis ist überdeutlich: In den vergangenen neun Spielzeiten kamen 57,15% aller Europa-League-Neuteilnehmer dadurch aus dem Tritt und verschlechterten sich sportlich. Paradebeispiel Köln: Die schmierten gleich in die zweite Liga ab, nachdem die Europa League das Team „durchgekaut“ hatte. Übrigens einmal mehr ein Beweis für das „große Schweigen“ über den Druck: Der Rückblick-Artikel des Kölner Stadtanzeigers erwähnt die Europa-Teilnahme nur mit wenigen und sämtlich lobenden Worten.

2. Die Gedankenbelastung

Tatort: Bezirksliga Unterfranken Ost. Wie oft denkt man da an Fußball? Vor dem Training. Und natürlich auch am Spieltag. Doch hier ist Fußball für die wenigsten der Mittelpunkt ihrer Gedankenwelt. Das sind eher Job, Familie, die ganzen großen und kleinen Sorgen des „Normalo-Daseins“. Wir glücklichen Amateure, muss man deutlich sagen. Klar, ein Leon Goretzka muss sicher im Supermarkt nicht auf die Preise schauen. Einen Fabian Bredlow wird es eher nicht so wütend machen, wenn der Spritpreis mal wieder steigt.
Doch auch hier sitzen wir erneut einem Trugschluss auf: Die finanziellen Sorgen haben diese Profis nur für den Moment nicht. Tatsächlich, so weiß es die Spielergewerkschaft VdV, haben nur zehn Prozent aller Profis beim Ende ihrer Karriere ausgesorgt. Und viel mehr noch, sie erkaufen diese momentane monetäre Sicherheit dadurch, dass Fußball mehr oder weniger jeden ihrer wachen Gedanken bestimmt. Profis dürfen nicht an Fußball denken, sie müssen es. Und das, was Per Mertesacker offiziell zugab („irgendwann realisierst du, dass alles eine Belastung ist, körperlich und mental. Dass es null mehr um Spaß geht, sondern dass du abliefern musst, ohne Wenn und Aber“) dürfte bei sehr vielen ein sorgfältig verheimlichter, aber omnipräsenter Hinterkopfgedanke sein.
Zumal man bedenken muss, dass jemand, der heute Profi ist, schon seit frühester Jugend tief drin im „Vollzeitfußball“ steckt. Ein 30-jähriger kann auf mindestens 20 Jahre auf dem Platz zurückblicken. Und als Spieler der ersten oder zweiten Liga hat man nun einmal, zumindest in der Stadt des Teams, einen Promistatus mit all den daraus folgenden psychischen Nachteilen, die sich schon darin manifestieren, niemals wirklich unerkannt zu sein.

3. Die körperliche Auszehrung

Wer Sport macht und irgendeine sinnvolle Leistung erbringen will, der muss auf sich achten – gilt selbst in den unteren Ligen. Da verkneift man sich vielleicht mal die zweite Maß, schaufelt keinen dritten Löffel Jägerrahmsoße aufs Schnitzel. Aber wirklich lebensbestimmend wird das Körperliche erst bei den Profis. Der Körper ist deren Kapital. Womit wir beim Trugschluss Nummer drei angelangt wären: Fußballprofis sind mitnichten irgendwelche sportlichen Übermenschen, bei denen der Körper durch geheime Vorgänge leistungsfähiger wäre oder schneller heilt. Auch in deren Bodys läuft das gleiche Spiel von Nährstoffen, Reizen und dem daraus erfolgenden Muskelaufbau ab, wie bei jedem anderen Menschen – bloß mit dem Unterschied, dass bei Profis das gesamte Dasein darauf ausgerichtet ist, hier das Optimum herauszuholen.
Warum haben Trainer so viele Assistenten, haben die Teams Therapeuten, Ärzte und eine ganze Armee anderer Spezialisten? Nur um einen normalen Menschen durch Training auf das körperliche Maximum zu hieven und nach Schäden dorthin zurückzubringen. Er bleibt aber immer noch ein Mensch. Und wie bei einem Automotor, den man zwar pflegt aber dennoch ständig am Limit bewegt, sorgt das für Über-Verschleiß. Die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln bei Profis ist Normalzustand. Etwas, das ebenfalls nur ans Licht kam, weil ein Mutiger – Schalkes Ex-Mannschaftsarzt Thorsten Rarreck – darüber sprach.

Tatsächlich liegt hier der einzige Punkt, der Profifußballer von Normalsterblichen unterscheidet: Sie können die Alarmsignale ihres Körpers einfach besser ausblenden. Können dort, wo andere vor Schmerzen aufgeben, immer noch weitermachen. Doch es ist klar, dass das Folgen hat. Das lange Leben am Körperlimit hinterlässt viele Narben. Etwa das „Sportlerherz“. Es entsteht, weil ein Herz, das sportlich extrem gefordert wird, an Muskelmasse zulegt. Eigentlich ein positiver Effekt, der bei Profis jedoch häufig zu positiv wird. Dann wiegt ein Herz manchmal über 500 Gramm (normal sind 300) – jedoch ohne, dass die Herzkranzgefäße mitwachsen; Sauerstoff-Unterversorgung ist die Folge. Piermario Morosini, italienischer Profi, verstarb daran urplötzlich mit 25.
Abermals kommen wir wieder auf die Mehrfachbelastung durch Bundesliga und andere Ligen: Dann bleibt dem Sportlerkörper nicht mehr die Zeit, die er eigentlich braucht, um diese Höchstleistungen regenerieren zu können. Youngster-Profis in den frühen 20ern haben damit kein Problem. Doch je näher die 30 kommt oder sich entfernt, desto länger ist die Regenerationsdauer.
Und so vieles, was während der Karriere weggespritzt, wegignoriert, verkniffen wurde, kommt nach der Rasen-Verabschiedung wieder zurück. Dann, wenn durch den zurückgefahrenen Trainingsrhythmus keine dicken Muskeln mehr die lädierten Gelenke stützen. Wenn die jahrelange Einnahme von Diclofenac und Co. ihre Nebenwirkungen zeigt und der Körper es quittiert, dass keine Verletzung wirklich Zeit hatte, um anständig auskuriert zu werden. Zitat Thomas Brdaric (u.a. Stuttgart, Leverkusen & Hannover) :

„Nur, wenn ich mir Schmerzmittel reinhaue, kann ich heute mal für eine Stunde kicken. Aber danach habe ich wieder zwei Wochen Probleme.“

Insofern gilt der Satz, der schon genannt wurde: Wir glücklichen Amateure, die wir einfach nur Fußball um des Fußballs willen spielen dürfen. Auf Profis muss man wirklich nicht neidisch sein.

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