Fußball mitten im Krieg: Die Gauligen Bayern Nord und Oberfranken - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 01.07.2010 um 00:00 Uhr
Fußball mitten im Krieg: Die Gauligen Bayern Nord und Oberfranken
MAGAZIN Fußball mitten im Krieg? – Aus heutiger Sicht mag es kaum vorstellbar erscheinen, doch während zwischen 1939 und 1945 in ganz Europa der Zweite Weltkrieg tobte, bemühten sich die Sportfunktionäre im nationalsozialistischen Deutschland fast bis zum bitteren Ende, einen geregelten Fußballspielbetrieb aufrechtzuerhalten. Mit aller Macht sollte so weit wie möglich der Anschein von Normalität gewahrt werden – wenn auch mit zum Teil kuriosen Auswüchsen. So wurde beispielsweise noch 1944 eine eigene erste Liga für Oberfranken ins Leben gerufen: die Gauliga Oberfranken – ein heute fast vergessenes Kapitel fränkischer Fußballgeschichte.
Von Robert Schäfer
Rückblende: Im Januar 1933 wird Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannt. In den folgenden Monaten schaffen der „Führer“ und seine Schergen schrittweise die Demokratie in Deutschland ab, das Land wandelt sich zur braunen Diktatur. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Machthaber ist die sogenannte „Gleichschaltung“ sämtlicher Vereine und Verbände. Wer nicht mitzieht, wird aufgelöst, alle anderen rasch auf Linie gebracht, das gilt auch für die Fußballvereine im Land. Aus dem DFB wird noch im selben Jahr die „Fachschaft Fußball“, später das „Fachamt Fußball“ im Reichsbund für Leibesübungen.  

1933: Die Gauliga wird ins Leben gerufen

Auch für den Spielbetrieb hat die Gleichschaltung umgehend Folgen. Zur Saison 1933/34 kommt es zur ersten großen Reform des deutschen Ligafußballs. Hatten zuvor die deutschen Fußballvereine in zahllosen Bezirksligen regionale Meister ausgespielt, die dann auf Verbandsebene die Teilnehmer zur Endrunde an der Deutschen Meisterschaft ermittelten, führten die nationalsozialistischen Sportfunktionäre erstmals eine einheitliche oberste Spielklasse für ganz Deutschland ein – die Gauliga. Diese wurde zunächst in sechzehn Staffeln unterteilt, von Ostpreußen über Westfalen bis Bayern. Die Meister der einzelnen Gauligen spielten dann in einer Endrunde den Deutschen Meister aus. Der oberfränkische Fußball spielte in jenen Jahren freilich nur eine untergeordnete Rolle, bis 1939 gelang lediglich dem 1. FC Bayreuth und dem VfB Coburg jeweils zweimal der Aufstieg in die Gauliga Bayern, diese Gastspiele währten indes nur kurze Zeit.  

Zeitungskarikatur zur ersten „Kriegsmeisterschaft“ in der Saison 1939/40. An der Tabellenspitze der Gauliga Bayern der spätere Vizemeister BC Augsburg, ganz hinten der FSV Nürnberg, der auch am Ende mit mageren zwei Punkten den letzten Rang belegte. Da die Gauliga zur Saison 1940/41 auf dreizehn Vereine aufgestockt wurde, durfte der FSV trotz der miserablen Runde im Oberhaus bleiben, musste jedoch nach nur acht Spieltagen seine Mannschaft wegen Spielermangels zurückziehen.
  aus: Christoph Bausenwein/Bernd Siegler/Herbert Liedel: Franken am Ball. Geschichte und Geschichten eines Fußballjahrhunderts, Würzburg 2003, S. 85.

Aus der Meisterschaft wird die „Kriegsmeisterschaft“


Als am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, bekamen dies postwendend auch die Fußballer zu spüren. Die mit Verspätung im November 1939 begonnene Meisterschaftsrunde wurde von den Machthabern zur „Kriegsmeisterschaft“ erklärt, die meisten Aktiven bald schon zum Militärdienst eingezogen. Der Spielbetrieb konnte in der Folge häufig nur mit Jugend- und Altherrenspielern sowie Stammkräften auf Heimaturlaub gewährleistet werden. Einen Vorteil hatten hingegen Orte, an denen größere Militärverbände stationiert waren, hier konnten sich, mit etwas Glück und Unterstützung durch wohlgesonnene Offiziere, die ansässigen Vereine bei den vorhandenen Soldaten „bedienen“. Für viele andere Vereine wurde es allerdings bald schon eng. Erstes prominentes Opfer in Bayern: Der FSV 1883 Nürnberg, der seine Mannschaft nach dem achten Spieltag der Saison 1940/41 aus der Gauliga Bayern zurückzog. Grund: akuter Spielermangel, die meisten Kicker des in Nürnberg-Leyh beheimateten Vereins standen an der Front. Vielerorts kam es aus demselben Grund in den folgenden Jahren zur Bildung sogenannter Kriegsspielgemeinschaften, in denen sich mehrere Vereine zusammenschlossen, um die noch vorhandenen Kräfte zu bündeln. Treibstoffrationierungen, die zunehmende Zahl an Bombenagriffen sowie die daraus resultierenden Behinderungen im Verkehr erschwerten den Spielbetrieb zusätzlich.  

Die Blütezeit des Bamberger Fußballs – mitten im Krieg

Zur Saison 1942/43 wurde daher die Gauliga Bayern in zwei Gruppen unterteilt. In der Gruppe Nord sorgte alsbald ein Neuling aus Oberfranken für Furore: der 1. FC Bamberg, dem durch den „Spieß“ des in der Domstadt stationierten Panzerregiments, Karl Schmidt, zahlreiche gute Fußballer aus ganz Deutschland zugeführt wurden – „Männe“ Kästner von Tennis Borussia Berlin etwa oder Klaus Müller von Eintracht Trier. Trainiert von Ferdl Wessely, einem ehemaligen österreichischen Nationalspieler, belegten die Violetten am Ende der Saison Rang sechs in der Gauliga Bayern Nord, eine mehr als achtbare Platzierung. Allerdings: der Erfolg stand und fiel mit den Leistungsträgern der Domstädter und die wiederum gehörten fast ausnahmslos dem Panzerregiment an. Standen die Spieler an der Front und konnte der Gegner halbwegs aus den Vollen schöpfen, fiel das Ergebnis meist eindeutig aus. Das bekamen die Bamberger in der Saison 1943/44 zu spüren, als sie lange Zeit auf Augenhöhe mit dem 1. FC Nürnberg um die Meisterschaft kämpften, im entscheidenden Spiel jedoch mit einer Rumpfelf auflaufen mussten und prompt mit 12:1 verloren. Zweistellige Ergebnisse waren in der Tat keine Seltenheit in jenen Jahren, je nachdem, welche Mannschaft auf welche Akteure zurückgreifen konnte. Für den FC reichte es in seiner zweiten Gauligasaison dennoch zu Rang zwei, bis heute die beste Platzierung der Vereinsgeschichte. Konkurrent und Meister Nürnberg wurde übrigens trainiert vom späteren Coach der Domreiterelf, Hans „Bumbes“ Schmidt.  

66 erste Ligen

Nach nur zwei Spielzeiten kam jedoch auch für die zweigleisige Gauliga Bayern das Aus. Am 1. August 1944 wurden deutschlandweit alle überregionalen Sportveranstaltungen, wie es hieß, „im Zuge der weiteren Anpassung des deutschen Sports an die Erfordernisse der totalen Kriegsführung“ eingestellt. Noch kurz zuvor, am 18. Juni 1944, war letztmals im Krieg ein Endspiel um die Deutsche Meisterschaft ausgetragen worden, vor 70.000 Zuschauern hatte der Dresdner SC im Berliner Olympiastadion den Luftwaffen-Sportverein Hamburg glatt mit 4:0 besiegt. Auf regionaler Ebene freilich rollte das Leder auch weiterhin, allen Hindernissen zum Trotz. Die ohnehin seit Kriegsbeginn vielfach unterteilten Gauligen wurden nun nochmals aufgesplittert, zu Beginn der Saison 1944/45 gab es in ganz Deutschland (einschließlich der noch besetzten Gebiete) nicht weniger als 66 (!) erste Ligen – die meisten bestanden jedoch lediglich noch auf dem Papier, längst wurde etwa in Ostpreußen oder Pommern nicht mehr Fußball gespielt. In Bayern wurde die Gauliga in insgesamt fünf Staffeln unterteilt, eine davon war die Staffel Oberfranken – ein Kuriosum, das so wohl nur in dieser Zeit möglich war.   

Eine Liga - sechs Mannschaften 

Längst hatten zu dieser Zeit auch in Nordbayern die meisten Mannschaften jeglichen Spielbetrieb eingestellt, es fehlten schlicht und ergreifend die Spieler, zudem hatten die Menschen in den letzten Monaten des Krieges andere Sorgen als Fußball. Und dennoch: Immerhin sechs Vereine qualifizierten sich für die Gauliga Oberfranken, die in den Geschichtsbüchern mitunter auch als Gauliga Bayreuth-Nord bezeichnet wird: Der 1. FC Bamberg, der VfB Coburg, der FC Bayern Hof, aus der Oberpfalz die Reichsbahn SSVg Weiden (der Vorläufer der heutigen SpVgg Weiden), ferner die KSG (Kriegsspielgemeinschaft) Bayreuth sowie der 1. FC Michelau. Ob es aber überhaupt noch zum Anstoß kam in dieser oberfränkischen Gauliga, lässt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. In den Vereinschroniken und Statistikbüchern finden sich keine Ergebnisse, vermutlich wurde schon im Herbst 1944 der Spielbetrieb endgültig eingestellt. Lediglich vom 1. FC Bamberg weiß man, dass er noch am 28. Januar 1945 mit 12:2 gegen den VfB Coburg gewann. Anders verhielt es sich übrigens in der Staffel München/Oberbayern – hier wurde tatsächlich noch bis Ende März 1945 eine nahezu komplette Saison gespielt, Meister wurde, mit großem Vorsprung, der FC Bayern München.  

Erstligafußball in Michelau? – Kein Witz, der 1. FC qualifizierte sich tatsächlich für die 1944 ins Leben gerufene Gauliga Oberfranken. Ob es dort allerdings überhaupt noch zum Anstoß kam, lässt sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen, spätestens im Herbst 1944 kam der Spielbetrieb in Oberfranken fast völlig zum Erliegen. Der Michelauer Sportplatz befindet sich übrigens noch an derselben Stelle wie vor 64 Jahren.

Robert Schäfer

Das Kriegsende unterbricht den Spielbetrieb nur kurz


Erstaunlich schnell erholte sich der Fußball von den Zerstörungen und Verlusten des Zweiten Weltkrieges. Bereits im November 1945 nahm als erste von schließlich fünf ersten Ligen die Oberliga Süd den Spielbetrieb auf, die Oberligen Südwest, West, Nord und Berlin folgten bis 1947 nach. Aus Oberfranken sollte bis zur Einführung der Bundesliga 1963 dem 1. FC Bamberg sowie dem FC Bayern Hof noch einmal der Sprung ins Oberhaus glücken, die SpVgg Bayreuth, der VfL Neustadt und der VfB Helmbrechts schafften es immerhin noch bis in die 2. Liga. Und auch der „verhinderte Erstligist“ 1. FC Michelau hatte seine Blütezeit bei Kriegsende noch vor sich, von 1953 bis 1963 gehörten die Michelauer ununterbrochen der Amateurliga Nordbayern an, dem Vorläufer der heutigen Bayernliga. Erstligafußball wird man freilich wohl an keinem der genannten Orte jemals wieder zu sehen bekommen, das war in dieser Form tatsächlich wohl nur in den chaotischen Kriegstagen am Ende des „Tausendjährigen Reiches“ möglich.  

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