Lieber fünfter als Fürther: Die fränkische Nationalmannschaft - anpfiff.info
Artikel veröffentlicht am 13.12.2006 um 13:36 Uhr
Lieber fünfter als Fürther: Die fränkische Nationalmannschaft
MAGAZIN 1924 traf die deutsche Nationalmannschaft in einem legendären Spiel auf die Niederlande. Die Mannschaft setzte sich ausschließlich aus Nürnbergern und Fürthern zusammen, die den Fußball in Deutschland dominierten – und sich partout nicht ausstehen konnten.
Von Christian Dotterweich
„Ringkampf, Boxkampf, Schlägerei, ja Rauferei möchte man nennen, was die beiden Mannschaften vorgeführt haben.“ Der Reporter der „Nürnberger Zeitung“ überschlägt sich mit martialischen Urteilen. Was er am Sonntag zum Hinspiel um die Süddeutsche Meisterschaft im Nürnberger Zabo zwischen dem 1. FCN und der SpVgg Fürth kommentieren muss, erschüttert ihn. Das äußerst rau geführte 0:0 am 13. April 1924 der verfeindeten Nachbarn macht auch dem DFB schwer zu schaffen. In einer Woche ist ein Länderspiel gegen die übermächtigen Holländer angesetzt – eine deutsche Mannschaft ohne die Fußball-Hochburg Nürnberg-Fürth ist undenkbar.

Heiner Stuhlfauth, die Legende, hütete von 1916 bis 1933 das Club-Tor. Bei seinen fünf deutschen Meisterschaften mit dem 1. FC Nürnberg blieb er in den Endspielen ohne Gegentor.
Riegler: Als Stuhlfauth noch im Tor stand
Die Goldenen Zwanziger glänzen auch in der Historie des 1. FC Nürnberg. Der noch junge Club gewinnt als erster Serien-Meister nicht weniger als fünf Mal die Deutsche Meisterschaft. In der Vor-Vor-Bundesliga-Ära wird der Beste der Besten in einer Endrunde aus dem Nordostdeutschen, dem Südostdeutschen, dem Berlin-Brandenburgischen, dem Mitteldeutschen, dem Norddeutschen, dem Westdeutschen und dem Süddeutschen Meister ermittelt. Obwohl die SpVgg Fürth 1914 der erste deutsche Meister aus Bayern wird, können sie den Meisterschaften des Erzrivalen aus Nürnberg in den Jahren 1920, 21, 24, 25 und 27 nichts entgegensetzen (Fürth wird 1926 und 1929 deutscher Meister).

„Wo sind denn die Fürther?“

„Wir trafen uns in Nürnberg und sahen, dass die Fürther in einem der hinteren Waggons des D-Zugs einstiegen“, erinnerte sich Torwart-Legende Heiner Stuhlfauth. „Als wir das gesehen haben, sind wir in einem der vorderen Waggons eingestiegen.“ Der Presse wird eine Woche nach dem Holzhacker-Derby ein anderes Bild der verfeindeten Brüder gezeigt. Vor der Abfahrt am 20. April nach Amsterdam stellt sich die Nürnberg-Fürther Nationalmannschaft ordentlich nebeneinander vor dem Zug zum gemeinsamen Foto auf. Jedoch links die Fürther, rechts die Nürnberger. Zwischenstopp in Düsseldorf beim DFB. Die Nürnberger steigen aus. Der Betreuer der Nationalmannschaft vom DFB, Paul „Papa“ Blaschke, runzelt die Stirn: „Wo sind denn die Fürther?“ Schulter zuckend erwidern die Club-Spieler, sie wissen es nicht. Blaschkes Sorgenfalten graben sich tiefer. Da steigen die Fürther aus einem der hinteren Waggons aus. „Was ist denn los mit euch“, ruft der entsetzte DFB-Mann, „ihr müsst doch Freunde sein. Ihr habt doch morgen ein Spiel gegen Holland!“ Seine Vermittlungsversuche scheitern. Man geht getrennt ins Hotel und fährt am nächsten Tag wieder in getrennten Waggons gen Holland.

Die Fürther jubeln, die Nürnberger drehen ab

In Amsterdam dasselbe Bild. Getrennt ins Hotel, getrennt zum Essen. Selbst in der Kabine kurz vor Spielbeginn setzt sich das beinharte Ignorieren fort. Die fünf Nürnberger Stuhlfauth, Kugler, Kalb, Schmidt und Träg ziehen sich in einer Ecke um. In der gegenüberliegenden die sechs Fürther Müller, Hagen, Auer, Franz, Seiderer und Ascherl. Eisern schweigen sich beide Parteien an. Sichtlich nervös nimmt sich Blaschke (Professor Otto Nerz war zwar Reichstrainer, aber die Auswahl und Aufstellung der elf Besten fiel bis 1926 in den Zuständigkeitsbereich des DFB-Spielausschusses) Torwart Stuhlfauth kurz vor Spielbeginn zur Brust: „Ihr müsst euch einig werden. Das macht sich im Spiel bemerkbar, wenn ihr streitet!“ Die fränkische National-Elf läuft vor 26.000 Zuschauern am Montag, 21. April 1924 ins holländische Stadion ein. Die Antwort auf die Sorgen von Papa Blaschke gibt Stuhlfauth, der Torwart mit der Mütze, vorher und die Mannschaft auf dem Platz: Sie spielen, als ob sie eine Mannschaft sind; gegen eine Elf, die die Deutschen bisher nie besiegen konnten. Die zerstrittenen Franken zeigen zur Überraschung der Holländer und der DFB-Verantwortlichen eine gute Partie. Die perfekt einstudierte Abseitsfalle der Holländer schnappt anfangs gekonnt zu – bis zur 14. Minute. Träg bricht auf links durch, flankt über Torwart De Boer, dahinter köpft der allein stehende Auer ins Netz. Die Fürther jubeln mit ihrem Torschützen, die Nürnberger – für die Vorlage verantwortlich – drehen ab und zeigen den Fürthern die kalte Schulter.  

Die Devotionalien der fränkischen Nationalmannschaft der 20er Jahre, unter anderem mit der Mütze von Heiner Stuhlfauth, waren im Museum Industriekultur in Nürnberg ausgestellt.
Museum Industriekultur

Endstand 1:0. Ein Grund zum Feiern, eigentlich. Der erste Länderspiel-Sieg der Deutschen gegen die Holländer ist errungen. Das gute Flachpassspiel der Deutschen schnürte den Gegner zeitweise völlig ein. Ein Reporter attestiert: „Stärke und Feldüberlegenheit waren 2:0 für Deutschland.“ Die Nürnberg-Fürther Nationalmannschaft pfeift aufs Feiern. Nach dem Spiel das gewohnte Bild der Streithähne. Sie ziehen ihre weiß-schwarzen Trikots wieder getrennt in den Kabinenecken aus und fahren in getrennten Waggons zurück. Sie haben nur eines im Kopf. In sechs Tagen, am 27. April, trifft man sich zum Rückspiel um die Süddeutsche Meisterschaft im Fürther Ronhof wieder. Das ruhige und gut geführte Rückspiel vor 20.000 Zuschauern und vorsorglich 80 im Stadion verteilten Kriminalbeamten endet wieder Unentschieden (1:1). Da die Cluberer nur ein Spiel, die Fürther „Kleeblätter“ aber zwei Spiele in der Endrunde verloren hatten, steht der FCN als Süddeutscher Meister am 9. Juni dem Norddeutschen Meister, HSV, im Berliner Grunewaldstadion im Finale gegenüber. Mit einem 2:0-Sieg feiert der Club die dritte Meisterschaft. Es jubelten auch die beiden Hans’ „Bumbes“ Schmidt und Sutor. Zwei ehemalige Fürther im weinroten Club-Trikot; ein Frevel, damals wie heute. Wohl schon zu jener Zeit prägt sich das Bewusstsein der „Großstädter“ aus Nürnberg gegenüber ihren „Vorstädtern“ aus Fürth. „Lieber fünfter als Fürther“ hallt noch heute ein beliebter Schlachtruf aus der Noris in Richtung Ronhof.

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